koloniale Kontinuitäten

Ein Einblick in die deutsche Kolonialgeschichte

… Deutschland im Jahr 1914 flächenbemessen die drittgrößte Kolonialmacht war und die damalige Ausbeutung heute noch Folgen für ehemals kolonialisierten Länder hat?

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Der Beginn der deutschen Kolonialzeit

Offiziell dauerte die deutsche Kolonialzeit von 1884 bis 1919, doch die aktive Vorgeschichte begann deutlich früher. Bereits durch Missionierungsfahrten unter dem Deckmantel der Verbreitung des christlichen Glaubens gab es deutsche Interessen in Übersee.

Mit dem Einsetzen der Industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts und der Aufhebung der verhängten Kontinentalsperre[1] begannen, überwiegend Hamburger und Bremer Kaufleute, direkte Verbindungen zu Gegenden in Lateinamerika und dem Nahen Osten sowie später auch Asien, Afrika und Australien herzustellen, um (ungleiche) Handelsbeziehungen aufzubauen.  

Der Wandel unter Otto von Bismarck

Im Jahr 1881 hielt der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck noch kategorisch fest, dass es unter ihm keine deutsche Kolonialpolitik geben werde. Doch nur drei Jahre später begann Deutschland unter von Bismarck mit der Annexion von Kolonien und stieg in den sogenannten „Scramble for Africa“[2] ein. Auch hier wurden Verbesserung der Handelsbeziehungen und „Entwicklungsarbeit“ vor Ort als Gründe angegeben. In der Realität wurden Pläne der Ausbeutung und Unterdrückung sowie das Errichten eines transkontinentalen Reichs ausgearbeitet, welche vom Irrglauben der biologischen und gesellschaftlichen Überlegenheit der Europäer*innen angetrieben wurde.

Die Kongo-Konferenz und der koloniale Wettlauf

Bei der Kongo-Konferenzin Berlin trafen sich von September 1884 bis Februar 1885 Vertreter von 13 europäischen Mächten (u.a. Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich uvm.), um über die Pläne für den afrikanischen Kontinent und die Modalitäten für zukünftige koloniale Besitzergreifungen zu diskutieren. Menschen aus afrikanischen Staaten waren nicht Teil der Konferenz.

Auch wenn das aktive Annektieren von Kolonialstaaten im Vergleich zu anderen Kolonialmächten erst spät geschah, konnte Deutschland seine Macht schnell ausbauen und verfügte bereits im Jahr 1914 flächenbemessen über das drittgrößte Kolonialreich. Nur Großbritannien und Frankreich verfügten flächenmäßig über mehr Kolonien. Das deutsche Kolonialreich umfasste unter anderem Teile der heutigen Staaten Burundi, Ruanda, Tansania, Namibia, Kamerun, Togo, Ghana, China, Papua-Neuguinea sowie mehrere Inseln im Westpazifik.

Grausamkeiten der deutschen Kolonialherrschaf

Deutschlands Kolonialgeschichte war kurz, nicht aber weniger grausam. Nachfolgend zwei konkrete Beispiele:

  • Der Maji-Maji-Aufstand in Tansania: Eins der gewaltsamsten Kapitel deutscher Kolonialgeschichte war der Maji-Maji-Aufstand[3] im heutigen Tansania. Was als Widerstandsbewegung aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen begann, wurde auf brutalste Weise niedergeschlagen und ist aufgrund der hohen Opferzahlen in die deutsche Kolonialgeschichte eingegangen.
  • Der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia: Im heutigen Namibia gab der General Lothar von Trotha am 02. Oktober 1904 einen Vernichtungsbefehl, für alle sich im deutschen Gebiet aufhaltenden Herero[4] und war somit für den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts verantwortlich. In den folgenden Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Schutztruppen und den Herero und Nama[5] wurden zwischen 1904 und 1908 schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen durch die deutschen Truppen ermordet, verdursteten in der Omaheke-Wüste oder starben in Konzentrationslagern.

Die langfristigen Folgen der Kolonialzeit

Noch bis heute sind die Auswirkungen der Kolonialzeit zu spüren und von einer erfolgreichen Aufarbeitung ist Deutschland weit entfernt. Bis der Genozid in Namibia von deutscher Seite offiziell anerkannt wurde, mussten mehr als hundert Jahre vergehen. Die 2021 erzielte Einigung mit der namibischen Regierung über Unterstützung und Zahlungen wird weiterhin von Vertreter*innen der Herero und Nama angefochten und abgelehnt. Über Reparationszahlungen[6] wird zwar diskutiert, zu Zahlungen ist Deutschland allerdings bis heute nicht bereit.

Das Erbe der Kolonialzeit

Nach dem ersten Weltkrieg musste Deutschland alle Kolonien abtreten. Die Fremdherrschaft in den jeweiligen Ländern blieb jedoch bestehen und das Deutsche Reich unterhielt weiterhin asymmetrische Handelsbeziehungen zu ehemaligen Überseegebieten. Kolonial geprägte Denk- und Wahrnehmungsmuster überdauerten auch jenseits kolonialrevisionistischer Diskurse[7] der deutschen Gesellschaft und wirken bis heute nach. Ungleiche Machtstrukturen und wirtschaftliche Verhältnisse sind weitere Folgen der Kolonialzeit.

Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte

Durch zunehmende postkoloniale Perspektiven und Kritiken muss sich auch Deutschland immer mehr mit der eigenen Kolonialzeit auseinandersetzen. Einen großen Teil dieser Auseinandersetzung nimmt die Debatte um die Rückgabe von Raubkunst und menschlichen Überresten aus den ehemaligen Kolonien, welche sich noch immer in deutschen Museen befinden, ein. Auch wenn sich in den letzten Jahren in der (Post-)Kolonialismus Debatte etwas bewegt – vor allem durch afrikanische und Schwarze deutsche Forscher*innen und Autor*innen – so hat Deutschland noch einen weiten und intensiven Weg in der aktiven Aufarbeitung der Kolonialzeit zu gehen.

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Fußzeilen

[1] Am 21. November 1806 löste der französische Kaiser Napoleon I. eine der größten Wirtschafts- und Handelsblockaden der europäischen Geschichte aus: die „Kontinentalsperre“. Er verbot den von Frankreich beherrschten europäischen Staaten – darunter Preußen, Holland, Spanien und Teilen Italiens – so wörtlich „allen Handel und alle Korrespondenz nach den Britischen Inseln“. Kein Schiff aus England oder aus den englischen Kolonien durfte mehr in einem Hafen dieser Länder anlegen.

[2]„Scramble for Africa“ — „Wettlauf um Afrika“ nennt die Londoner „Times“ am 15. September 1884 die Jagd der europäischen Mächte nach kolonialem Besitz auf dem Kontinent

[3] Der Maji-Maji-Aufstand begann am 20. Juli 1905 mit der symbolischen Zerstörung eines Baumwollfeldes, auf dem Zwangsarbeit geleistet wurde. In den ersten Wochen verzeichneten die Maji-Kämpfer bei ihren Angriffen gegen Militärstationen, Farmen und Missionen zahlreiche Erfolge. Ende August 1905 scheiterte jedoch die Erstürmung des deutschen Verwaltungssitzes und Militärpostens von Mahenge.

[4] Ethnische Minderheit; ein in süd-west Afrika lebendes ehemaliges Hirtenvolk von heute etwa 120.000 Menschen; Mehrheit lebt in Namibia

[5] Ethnische Minderheit; ein in Südafrika & Namibia lebendes Volk von heute etwa 100.000 Menschen

[6] Geldzahlungen, die Wiedergutmachung sein sollen für Schäden, die während der Kolonialzeit zugefügt wurden

[7] Bestrebungen, die Herrschaftsbeziehungen zwischen den Kolonisierten und den Kolonisierenden wiederherzustellen